Die wunderschöne Bausubstanz, an der sichtbar der Zahn der Zeit nagt. Die Grandezza der Vergangenheit trifft auf die Probleme der Gegenwart , die wunderschönen und großteils prächtigen alten Gebäude sind in großer Zahl dem Verfall preisgegeben, schlicht, weil der Ukraine das nötige Geld für die Instandhaltung fehlt. Andererseits wird an vielen Ecken dann wieder gebaut und restauriert, ganze Straßenzüge aufgegraben, um die einst noblen Boulevards wieder in altem Glanz erstrahlen zu lassen. So wird punktuell die Pracht sichtbar, speziell viele Kirchen und die Oper, die in ihrem Erscheinungsbild an das Wiener Burgtheater erinnert, wurden mustergültig instand gesetzt. Es tut sich etwas, aber es dauert, zu lange wurde das historische Erbe aus ruhmreichen Zeiten der alten Hafenperle vernachlässigt, um diesen Rückstand mit den eingeschränkten finanziellen Mitteln wieder aufzuholen.
Morbidität und das pralle Leben – so ein weiteres Gegensatzpaar, das Odessa charakterisiert. Bröckelnde Fassaden; Schlaglöcher in den Gehsteigen, so tief, dass man sich mit Leichtigkeit beide Beine bricht, wenn man den Blick nicht konzentriert auf den Gehweg richtet; Straßenbahnschienen, die so wacklig und verzogen sind, dass man, lägen sie in Wien, annehmen würde, dass die seit Jahrzehnten nicht mehr in Betrieb wären, über die aber nach wie vor die Straßenbahngarnituren im Alltagsbetrieb dahinrattern; verwilderte Zugänge zum Strand, an deren Rand sich der Plastikmüll türmt. Auf diese morbide Kulisse trifft Lebendigkeit. Bis spät in die Nacht brodelt in den Straßen Odessas das Leben in den netten Cafés, den guten Restaurants, auf den vielen Terrassen der Pubs und Bars. Straßenkünstler und jene, die sich für solche halten, treten auf und geben Feuershows und Livemusik zum Besten. Extrem viele junge Menschen flanieren durch die Stadt, modern gekleidet, wie überall auf der Welt mit Smartphone in der Hand, sie bevölkern die Plätze und Straßen und auch die Cafés und Bars – man sieht ihnen die Wirtschaftskrise nicht an, im Gegenteil, sie genießen das Leben und hauchen der Morbidität Leben ein. Im Vergleich zu Odessa ist Wien am Abend fast eine Geisterstadt. Odessitische Frauen sind in ihrer Gesamtheit im Übrigen sehr hübsch, entsprechen dabei gleichzeitig aber kaum den gängigen Ostblockklischees, weder balancieren sie die Schlaglöcher der Trottoirs in hohen Absätzen aus noch sind sie im Schnitt besonders aufgedonnert, sondern schlichtweg normal westlich gekleidet und dennoch sehr attraktiv.
Ukrainisch oder doch russisch? Im Gegensatz zu anderen Teilen des zerrissenen Landes scheint das hier keine große Rolle zu spielen und zeigt, dass das nicht per se ein weiteres Gegensatzpaar darstellen muss. Denn in Odessa bekennt man sich offensichtlich zur Ukraine, die blau-gelbe ukrainische Flagge ist allgegenwärtig. Und das, obwohl ein überwiegender Teil der Einwohner dieser Stadt praktisch nur Russisch spricht. Wenn man will, kann man also scheinbar gut beides miteinander vereinbaren, Abspaltungstendenzen gibt es hier nicht, die Antipathie gegenüber Russland, die in Lviv mit Anti-Putin Plakaten und Klopapierrollen mit seinem Konterfei allerorts spürbar war, ist hier dafür auch nicht vorhanden.
Auf meiner diesjährigen Reise mit meinem Freund Ré konnte ich 2 Tage lang diese spannende Stadt in all ihren widersprüchlichen Facetten auf mich einwirken lassen. Ich finde Odessa überaus interessant, halte es für äußerst sehenswert und im Endeffekt auch für sehr schön. Das hat sich offensichtlich noch nicht zu vielen westlichen Touristen durchgesprochen, sind diese doch eine absolut seltene Erscheinung. Entsprechend schwierig gestaltet sich manchmal die Verständigung, denn die einheimische Bevölkerung ist auf westliche Besucher nicht wirklich eingestellt, nur wenige Leute, auch unter den jungen, sprechen Englisch, ältere hin und wieder ein paar Brocken Deutsch. Abseits des Zentrums, zum Beispiel an den Stränden, bekommt man auch keine englischen Speisekarten – entsprechende Ratlosigkeit macht sich dann breit. Was aber nicht heißt, dass die Leute nicht hilfsbereit sind, mit Händen und Füßen schafft man es schon, sich durchzuschlagen und auch etwas auf dem Teller zu haben – und im Endeffekt macht das ja auch irgendwie den Reiz des Reisens und der fremden Kulturen aus, dass nicht immer Alles so einfach und reibungslos funktioniert wie zu Hause. Ich empfehle euch also durchaus mal einen kleinen Städtetrip gen Osten und habe auch daher, wie üblich, einen kleinen City Guide zusammengestellt. Viel Spaß damit! Den Heimflug bestritt ich übrigens ob des überbuchten Fliegers einmal mehr im Cockpit……
- Eckdaten
Odessa hat knapp über eine Million Einwohner, liegt am Schwarzen Meer, ist die wichtigste Hafenstadt der Ukraine und die insgesamt fünftgrößte Stadt des Landes.
- Bevölkerung und Religion
Odessa war immer eine Vielvölkerstadt, die von unterschiedlichen Kulturen geprägt wurde. Heute sind 60% Ukrainer und 30% der Einwohner Russen. Signifikante Minderheiten sind Bulgaren und Juden (immerhin über 1% der Bevölkerung). Die überwiegende Mehrheit der Bürger hängt dem orthodoxen Glauben an.
- Herumkommen und Verkehr
Odessa besitzt einen internationalen Flughafen (ODS), der sich 8 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt befindet. Von Wien aus gibt es mit Austrian tägliche Direktflüge. Der Standard des Flughafens ist eher als noch etwas rustikal zu bezeichnen, er erfüllt aber durchaus seinen Zweck.
Innerhalb der Stadt gibt es ein Netz an Trams und Bussen, die ziemlich alt und auch ziemlich überfüllt sind. Dafür ist der Fahrpreis spottbillig – ein Ticket kostet 30 UAH (ca 10 Cent). Gekauft werden die Tickets in der Tram bzw im Bus, es kommt jemand durch, der das Geld während der Fahrt nach dem Zusteigen kassiert.
Taxis sind billig, und auch hierzulande gibt es die moderne Alternative mit Uber.
- Einreise
Österreicher benötigen lediglich einen gültigen Reisepass, somit sind die Formalitäten sehr unkompliziert und stellen keine Hürde für eine Reise in die Ukraine dar.
- Infrastruktur und Strom
Die Ukraine verwendet die gleichen Steckdosen wie wir. Die Infrastruktur ist, was Straßen oder Verkehrsmittel betrifft, nicht auf unserem Stand, allerdings ist WLAN sehr weit verbreitet und in fast jedem Café und Restaurant gratis vorhanden.
- Sprache
Wie schon erwähnt, in Odessa wird praktisch nur Russisch gesprochen, auch wenn Straßennamen und offizielle Bezeichnungen immer mehr durch ukrainische Namen ersetzt werden. Fremdsprachenkenntnisse sind kaum vorhanden, mit Englisch kommt man nicht immer und überall gut durch. Ältere Bewohner sprechen eventuell noch ein paar Brocken Deutsch.
- Sicherheit und Gesundheit
Schenkt man Berichten Glauben, ist es besser, mit dem hiesigen Gesundheitssystem nichts zu tun zu haben – es entspricht in keinster Weise unseren Standards. In Odessa kann man sicher und unbehelligt spazieren gehen, hin und wieder wird man von ein paar Bettlern angesprochen, wirklichen Gefahren ist man aber nicht ausgesetzt.
- Geld und Preise
Währung in der Ukraine ist die Ukrainische Hrvynia (UAH), die auf Russisch und somit auch in Odessa als „Griwna“ bezeichnet wird. Das Preisniveau ist für unsere Verhältnisse extrem niedrig, ein Abendessen in einem guten Restaurant schlägt sich mit maximal 15 EUR zu Buche, da sind schon Vorspeisen, Hauptspeisen, Bier oder Wein dabei. In normalen Cafés isst man noch viel günstiger. Ein Straßenbahnticket kostet 10 Cent! Entsprechend kann man mit unserem Budget hier fast in Saus und Braus leben. Bankomaten finden sich zahlreich, Kreditkarten werden in Hotels, größeren Geschäften und vielen Cafés und Restaurants akzeptiert.
- Unterkunft
Preis-Leistung passt hier gut. Wir wohnten im ganz neuen modernen Hotel Milano in bester Lage, direkt neben dem belebten Deribasovskaya Boulevard. Kann uneingeschränkt empfohlen werden. An der Rezeption wird sogar Englisch gesprochen ;-)
http://hotelmilanoodessa.com/
- Küche
Sehr beliebt ist in Odessa offensichtlich die italienische Küche, denn es gibt mehr italienische Lokale als einheimische. Nebst den Klassikern des Ukrainischen wie Borschtsch (rote Rübensuppe), Räucherfischen oder Wareniki (gefüllte Teigtaschen) findet sich am Schwarzen Meer natürlich auch viel frischer Fisch auf den Speisekarten. Ein beliebtes Kraut ist wie auch in Russland Dille, gern werden Erdäpfel, Salate etc mit Dille verfeinert. Obst und Gemüse gedeihen im milden Klima wunderbar, speziell Melonen, Pfirsiche, Paradeiser sind aromatisch und sehr gut! Das lokale Bier ist äußerst schmackhaft, auch Wein gibt es aus der Region in anständiger Qualität. Kaffee wird überall frisch geröstet, die Sortenvielfalt an Tee ist ausgeprägt und heiße Schokolade, dickflüssig und vollmundig, ein Genuss. Kurzum – kulinarisch kommt man in Odessa nicht zu kurz – und das zu Preisen, die Spaß machen! Einzig beim Service muss man in den meisten Fällen ein paar Abstriche machen, nicht nur, dass oft die Verständigung schwer fällt, muss man sich auch oft auf längere Wartezeiten einstellen. Effiziente Bedienung war die Ausnahme, freundlich ist sie dafür im überwiegenden Fall umso mehr!
Hier gefiel es uns besonders…..
Dacha-Restaurant im Grünen außerhalb der Stadt mit riesigem Garten. Einheimische Küche in sehr guter Qualität in wunderschöne Parkanlage eingebettet. Für lokale Verhältnisse recht gehoben, für uns aber immer noch mehr als leistbar.
http://www.dacha.com.ua/en
Kompot Café
Ukrainische Kette mit ein paar wenigen Filialen in Odessa und Kiyiv. Die Filiale gleich am Deribasovskaya Boulevard wurde unser Stammcafé zum Frühstücken – ein wunderschönes Straßencafé, um Odessa beim Erwachen zuzusehen. Speziell der einheimische Ziegenfrischkäse mit frischen Beeren der Saison ist ein Hochgenuss!
http://www.kompot.ua/en/
Lviv Handmade Chocolate
Kette aus Lviv (Lemberg), die hausgemachte Schokolade sowie gute Kuchen und Torten verkauft. Ist in allen ukrainischen Städten mit Filialen vertreten, wurde unser Dessertplatz für den Abend – nettes Ambiente, sehr freundliche (und hübsche ;-)) Kellnerinnen, grandiose dickflüssige dunkle Schokolade!
https://www.chocolate.lviv.ua/en/
- Klima
Odessa hat maritimes Klima mit kontinentalem Einschlag. Die Sommer sind heiß, die Winter kalt, trotzdem nicht so trocken wie im Landesinneren. Jetzt im August hatten wir perfekte Temperaturen für eine Stadtbesichtigung, um die 25 Grad tagsüber bei großteils strahlendem Sonnenschein, am Abend allerdings mit 13 Grad für meine Begriffe zu kalt zum Draußensitzen – Odessiter sehen das in großen Massen aber anders und bevölkern trotzdem, in Decken eingehüllt, die Terrassen und Gastgärten.
- Sehenswertes
- Unzählige wunderschöne Kirchen, zum Großteil vorbildlich renoviert. Speziell sehenswert empfand ich die orthodoxe Verklärungskathedrale (Preopaschenski), die ebenfalls orthodoxe Elias Kirche und die Dreifaltigkeitskirche (ebenso orthodox). Nett ist der ruhige Garten des Frauenklosters St. Michael. Von außen auch schön anzusehen sind die griechisch-orthodoxe Kathedrale Panthelemon sowie das Arabische Kulturzentrum.
- Deribasovskaya Boulevard. Odessas Flaniermeile. Voller Leben bei Tag und vor Allem bei Nacht. Besonders schön ist der Teil um den gepflegten Stadtgarten. Von Schatten spendenden Platanen bestanden, so wie im Übrigen der Großteil Odessas.
- Der Hauptbahnhof – ein wunderschönes Gebäude
- Priwoz Markt – hier kauft Odessa ein. Lebensmittel und auch Gewand. Einfach mal um Alltagsatmosphäre zu schnuppern.
- Oper von Odessa – erinnert an das Wiener Burgtheater. Angeblich auch gute Aufführungen!
- Nicht ganz so spannend wie immer behauptet wird fand ich…..
- Die Potemkinsche Treppe, die von der Altstadt hinunter zum Hafen führt. In meinen Augen im Prinzip einfach eine Treppe, die nicht mal so lange ist wie ich sie mir vorgestellt hätte ;-)
- Die Strände: Lantscharon – der nächstgelegene zur Stadt, hat etwas von Ballermann. Laute Strandclubs, aus denen Tsching-Bum-Krach-Musik dröhnt, die Leute liegen dicht gedrängt fast aufeinander. Otrada – ist ganz nett mit ein paar angenehmen Strandcafés aber auch kein Highlight. Nach Arkadija, das noch weiter außerhalb liegt, haben wir es nicht mehr geschafft, soll exklusiver und noch verbauter sein, ein angebliches Zentrum des Nachtlebens mit vielen Clubs. Für mich als jemanden, der gerne wenig bevölkerte, naturbelassene Strände hat, nicht unbedingt anziehend, auch wenn die vielen jungen Menschen in Odessa davon bestimmt begeistert sind.
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