Lviv hatte schon viele Namen, zum Beispiel Lvov (russisch), Lwów (polnisch) oder Lemberg (deutsch). Lemberg ist denke ich zumindest den meisten Leuten hierzulande ein gewisser Begriff, auch wenn sich die konkreten Assoziationen dann mehrheitlich doch in engen Grenzen halten. Allein die vielen Namen zeugen schon von der wechselvollen und bewegten Geschichte, die diese Stadt hinter sich hat. Im Laufe der Jahrhunderte stand Lviv unter wechselnder Herrschaft, und jede davon hat ihre Spuren hinterlassen. Die sichtbarsten wohl die lange Epoche der habsburgischen Zeit anhand unzähliger Gebäude mit der typischen k&k-Architektur, als Lemberg die Hauptstadt des Kronlandes Galizien war. Und natürlich wirkt auch das Erbe der Sowjet-Ära prägend bis in die Gegenwart. Dazu haben auch andere Kulturen Lviv entscheidend geprägt, vor Allem die jüdische, die insbesondere in der Habsburgerzeit zum Erblühen kam, in der Zeit des Nationalsozialismus aber komplett zerstört wurde. Der aktuelle Name Lembergs ist aber Lviv - und das ist ukrainisch.
Lviv ist die Metropole der Westukraine. Hier ticken die Uhren anders als in Kiyiv oder im Osten des Landes - denn gesprochen wird ausschließlich Ukrainisch. Wer hier versucht, sich mit Russisch zu verständigen, macht sich eher unbeliebt, zu sehr ist Lviv nach Westen orientiert, zu sehr verabscheut man hier die Aggressionspolitik des großen Bruders. Der Staatsfeind Nummer 1 ist sehr schnell auszumachen - allerorts kann man Klopapier mit dem Konterfei Vladimir Putins kaufen, um zu zeigen, was man von ihm hält. Es gibt auch Souvenirs, auf denen er mit Bart abgebildet ist und als "Putler" in Anspielung auf Adolf Hitler bezeichnet wird. Fakt ist - Lviv ist weit entfernt von den Kriegsschauplätzen der Ostukraine. Und kann somit problemlos bereist werden.
Und eines kann ich mit Sicherheit sagen - Lviv ist wunderschön. Eine einmalige, ganz spezielle Stadt. Die habsburgische Architektur, an der zum Großteil noch der Zahn der Zeit nagt, strahlt einen ganz eigenen, besonderen Charme aus. Morbid vielleicht, aber irgendwie auch nicht. Denn Morbidität passt nicht zusammen mit der unglaublichen Lebendigkeit, die Lviv auszeichnet. Das Zentrum ist quirlig und jung, aus den verfallenen Fassaden sprießt ein nettes Lokal nach dem anderen, die anachronistisch anmutende, alte Straßenbahn rattert auf wackligen Schienen durch von tiefen Löchern übersäte, mit Kopfstein gepflasterte Gassen. Es flanieren hübsche junge Frauen, modern und sexy gekleidet, von einer Bar zur nächsten, an jeder Ecke findet man Kaffeeröstereien, aus denen die frisch gemahlenen Bohnen einen herrlichen Duft verbreiten. Lviv liegt auf bewaldeten Hügeln - und an jeder Ecke ragt ein Kirchturm in den Himmel, von armenischen über katholische bis hin zu orthodoxen Glaubensrichtungen findet man jeden Baustil.
Wenn ich Lviv mit einer anderen Stadt vergleichen müsste - ich könnte es nicht, diese Stadt hat ganz etwas Eigenes. Eine ungeschliffene Perle. Lviv müsste eigentlich bei seiner Schönheit von Touristenmassen überrollt werden. Das Gegenteil ist der Fall - wir begegneten kaum Ausländern hier und waren fast allein unter den Einheimischen. Entsprechend sind auch die Englischkenntnisse, selbst unter den meisten jüngeren Leuten, noch sehr rudimentär, und die Verständigung dementsprechend nicht immer einfach. Lviv hätte alle Voraussetzungen, ein echter Touristenmagnet zu werden, denn es ist nicht nur wunderschön sondern auch geographisch nahe und zumindest per Flugzeug schnell zu erreichen, dazu reist man als EU-Bürger visafrei ein. Das Preisniveau ist noch immer extrem niedrig - eine Hauptspeise in einem Lokal in der Innenstadt schlägt sich mit rund 3-4 EUR zu Buche, ein Ticket für die Straßenbahn kostet zirka 10 Cent. Und selbst für unser Hotel, in bester Altstadtlage, komplett neu, mit gutem Frühstücksbuffet, freundlichem Personal, einwandfreiem WLAN, berappten wir gerade mal 35 EUR pro Person pro Nacht. Die Küche ist nicht nur preiswert sondern durchwegs sehr gut. Wir hoben für die 2 Tage je 60 EUR ab - und mussten schon viele Souvenirs erstehen, um unser Bares wieder los zu werden, Essen und Trinken hätten wir dafür auch eine ganze Woche können. Nicht nur das Angebot an Kulinarik, auch jenes an Kultur, an Konzerten und Veranstaltungen, ist umfangreich.
Ich bin jedenfalls froh, hierher gekommen zu sein, bevor Lviv auf die Radarschirme der Reiseveranstalter gerät und die Touristenströme in großem Ausmaß hierher geleitet werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das passiert. Im Moment aber würde ich Lviv noch nicht einmal als Geheimtipp sondern als weitgehend unbekannt bezeichnen. Es wirkt uns Vieles vertraut und ist im gleichen Moment dann doch wieder so anders. Eigentlich ist es schwierig die Stimmung wirklich exakt zu beschreiben - weswegen ich voller Überzeugung rate: auf nach Lviv! Seht euch selbst an, wie es hier ist! Und vor Allem - macht es bald, solange die Schönheit dieser Stadt noch nicht im Bewusstsein der Massen angekommen ist!