Meine Erinnerungen an Venezia waren bis gestern eher recht schwammig. Mehr als 17 Jahre sind seit meinem letzten Besuch dort vergangen, und von diesem ist vordergründig das etwas holprig verlaufende Outing meines guten Freundes Harry in meinem Gedächtnis präsent, der meine damals Gar-Nicht-Interpretation eindeutiger Signale bis heute als Beispiel dafür verwendet, wie wenig Homosexualität in den Köpfen der Menschen, die damit nichts zu tun haben, verankert ist. Nun, sowohl ich in punkto Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, als auch die Thematik gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in punkto öffentlicher Wahrnehmung im Allgemeinen haben sich seither etwas weiter entwickelt ;-)
Und so konnte ich also gestern im Rahmen eines dienstlichen Stopps meine Erinnerungen an Venezia auffrischen. Ich hatte mir eigentlich nicht viel erwartet, da ich Plätzen, die vor Touristen nur so übergehen und von Amerikanern oder Chinesen mit höchstem Entzücken kopiert werden, die mehr Kulisse als echt sind, meist nicht besonders viel abgewinnen kann. Das Wetter war wirklich grau, aber als morbid empfand ich die Stimmung gar nicht. Also keine trauernden Gondeln. Vielmehr wirkte Venezia auf mich sogar extrem charmant. Vielleicht auch deshalb, weil um diese Jahreszeit mitten unter der Woche sich dann doch weniger Menschenmassen als in der Hochsaison durch die engen Gassen schieben. Vor Allem aber, wenn man die kleinen Kanäle, die von den dahinbröckelnden Fassaden der alten venezianischen Gebäude gesäumt werden, entlang spaziert, da lacht das Herz. Wo es kleine Trattorien gibt, wo es Läden wie den Panino Laden von Lele gibt, in den sich nur italienische Studenten in klassisch italienisch-chaotischer Manier von allen Seiten ohne irgendeine erkennbare Ordnung hineindrängen, wild durcheinander redend und gestikulierend, um wunderbare Panini mit Salami oder Formaggio und dazu ein Glas Rotwein um insgesamt 2,50 EUR zu erstehen, dann ist man mitten im Italien, das man so amüsant findet und gleichzeitig so gerne hat. Wo man sich Eis von dunkler Schokolade mit Orangengeschmack in höchster Qualität auf der Zunge zergehen lässt. Keine Spur von Kulisse oder Touristen Nepp, der sich über die Hauptroute zwischen Rialto und Markusplatz erstreckt, hier ist man mitten in Italien, und das Flair der verfallenden Gebäude, die sich in den kleinen Seitenkanälen spiegeln, verkörpert in wundersamer Weise den Charme des Verfalls!
Mein damals geouteter guter Freund Harry ist immer noch mein guter Freund, und Isabella, die damals auch dabei war und mit ihrer Dreierkombination an Getränken für Amusement gesorgt hat, ist immer noch "differente", aber Venezia ist für mich nun wieder anders konnotiert als die letzten gut 17 Jahre.......