Diese Mischung aus meiner Müdigkeit, dem grauen Himmel und der hohen Erwartungshaltung machte es wohl aus, dass ich zunächst etwas enttäuscht war, als ich die Innenstadt betrat. Der Altstadt Markt, einer der größten mittelalterlichen Marktplätze Europas mit dem markanten Gebäude der Tuchhallen in seiner Mitte - war schon sehr groß, aber irgendwie weniger spektakulär, als ich mir das gedacht hätte. Auch der Wawel Hügel, auf dem das Schloss der polnischen Könige und auch die Krönungskirche thronen, verlor ein wenig von seinem Glanz im Einheitsgrau. Im direkten Vergleich fand ich Danzig jedenfalls schöner.
Ich stieg den Wawel an seiner Rückseite hinab, verließ die Altstadt und gelangte dann in den Bezirk Kazimierz. Da war also der zweite Blick auf Krakau - und bei diesem funkte es dann endlich. Kazimierz war bis 1939 eines der größten jüdischen Viertel Europas, ehe die Nazis dem ein jähes Ende setzten. Heute ist es noch nicht vollständig saniert - aber es brodelt das Leben. An jeder Ecke Cafés, Bars, Lokale, in denen Jazz oder Klezmer Musik gespielt werden, dazu originelle Geschäfte, viel Jugend. Kazimierz erinnerte mich stark an Prenzlauer Berg in Berlin, bevor es hipper als hip wurde so wie heute, als es erst begann, hip zu werden. Die Fassaden noch bröckelnd, aber viel im Umbruch und im Entstehen. Ein inspirierender und spannender Cocktail. Für einen Musikabend war ich zu müde, die besten Pirogen, die ich bisher gegessen hatte, gönnte ich mir aber noch, frisch zubereitet, mit unterschiedlichsten Füllungen. Ich hatte das Lokal als Insider Tipp gefunden, es hatte nur wenige Tische, und ausschließlich Einheimische waren dort. Ich wurde freundlich und in gutem Englisch bedient, gezahlt wurde, wie in Polen fast Standard, ganz lässig mit der berührungslosen Variante der Kreditkarte. Meine Eindrücke über Polen als freundliches und sehr modernes Land, die ich in Warschau und Danzig gesammelt hatte, wurden hier nahtlos fortgesetzt, es ist auf dem besten Wege, eines meiner europäischen Lieblingsländer zu werden.......wenn es nur nicht so schrecklich katholisch wäre ;-)
Hier der Weblink zum Pirogen Lokal - eine unbedingte Empfehlung! Die Website ist allerdings leider nur auf Polnisch.
http://pierozkiuvincenta.pl/
Krakau - Empfehlung Nummer 1 - Kazimierz! Ein Klezmer Konzert ist definitiv auf meiner ToDo List.
Wer an der jüdischen Geschichte Krakaus interessiert ist - man kann die "Schindler Fabrik", jene Emailwaren Fabrik des deutschen Industriellen Oskar Schindler, dessen "Liste" durch Steven Spielbergs Film weltberühmt wurde, besichtigen.
Unweit von Krakau liegt auch Auschwitz-Birkenau, wohl DAS Sinnbild für den Wahnsinn des Nazi Terrors. Das ehemalige KZ kann man im Rahmen einer Tagestour besichtigen - ob man diese direkte Konfrontation mit dem dunkelsten Kapitel der Geschichte erträgt oder nicht, muss man für sich selbst beurteilen. Hätte ich mal länger Zeit in Krakau, würde ich mich dem aber, schon aus Wissen um das Schicksal meiner eigenen Familie, nicht verwehren.
Jedenfalls - nach meiner Begeisterung für Kazimierz verdient auch Krakaus Altstadt noch eine zweite Chance, die ich ihr bei besserem Wetter auf jeden Fall einräumen werde.