Das Frühstück stellt mir Lidia täglich um 7.30 auf den Tisch. An und für sich war immer Omelett mit Toast und Kräutern aus dem Garten (ohne das Arge ;-) vorgesehen. Ich konnte "verhandeln" quasi, dass es nur jeden zweiten Tag Omelett gibt und dafür jeden zweiten Tag Toast mit Marmelade und Käse. Extra für mich wurde deshalb Marmelade angeschafft - und die könnte boboesker nicht sein. Erdbeer-Chia - gesüßt mit Stevia!! Gibt es hier tatsächlich auch.....also wenn Chia und Stevia nicht DIE Bobo-Zutaten schlechthin sind - fehlt nur noch der Quinoa mit Hafermilch :-)
Um 8 erscheint dann Katherine. Wir setzen uns an unseren Stammplatz im schattigen Innenhof, machen die vorgesehenen Aufgaben und kommen dabei stets von einem Thema ins nächste. Während sie Vieles von mir wissen will, wie das Leben in Österreich ist, wie es kommt, dass man Flugbegleiter wird statt das normale Hausbau-Familien-Zeugs oder dass man als Mann einen bequemen Sarong statt einer engen Hose trägt :-)....Alles sehr spannend für sie. Auch war sie erstaunt, wie viel ich herumgekommen bin, man muss dazu sagen, es ist für NicaraguanerInnen unter normalen Umständen fast unmöglich, woanders hin zu reisen, nicht nur, weil es unleistbar ist, sondern auch weil sie kaum ohne besonders komplizierte Verfahren jemals ein Visum kriegen. Fast alle mit denen ich mich bisher unterhalten habe, waren noch niemals irgendwo außerhalb des Landes, nicht mal in den Nachbarländern Honduras oder Costa Rica. Fair ist das nicht - aber so ist es leider ;-(
Umgekehrt erzählt sie mir auch sehr interessante Dinge. Zum Beispiel über die Stellung der Frau hier in Nicaragua. Die ist im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern erstaunlich gut - vermutlich auch eine Errungenschaft der Sandinisten. So bekommen zwar nach wie vor fast alle im Alter von zirka 20 ihre Kinder - Männer wie Frauen. Aber nach 1-2 Kindern ist, im Gegensatz zu manch anderen Ländern mit explodierenden Geburtenraten, Schluss. Das ist nicht nur ein Produkt der insgesamt doch recht guten Bildung und Aufklärung, sondern der Zugang zu Verhütungsmitteln wie Pille oder Spirale ist hier für Frauen gratis! Ebenso können sie gratis nach 2 Kindern, wenn sie das wollen und der Meinung sind, ihre Familienplanung abgeschlossen zu haben, eine Eileitertrennung durchführen lassen. Katerin hat das gemacht. Und sich vom Vater ihrer Kinder letztes Jahr scheiden lassen, weil es nicht mehr gepasst hat. Auch das geht hier! Selten in einem recht armen Land, dass Familienpolitik so fortschrittlich funktioniert - auch wenn Abtreibungen außer bei Vergewaltigungen illegal sind. Nicht alles ideal also, aber doch viel besser als in anderen sehr machistischen Gesellschaften Lateinamerikas.
Auch von der illegalen Migration ihres jüngeren Bruders in die USA hat sie mir ausführlich erzählt. Das, was man immer in den Medien hört, gibt es wirklich. Speziell junge Männer versuchen, sich durchzuschlagen nach Nordamerika. Er zog auf der Landroute nordwärts, via Honduras, Guatemala und Mexiko bis an die amerikanische Grenze. Dort wurde er klassisch von einem Schlepper über den Rio Grande nach Texas gebracht. Der Schlepper kostete 4500 USD - eine eigentlich unleistbare Summe für die Menschen hier. Die Hälfte war vor Ausführung fällig, die Hälfte danach. Für die Anzahlung legten die Mutter und Katerin ihre Ersparnisse zusammen, Katerin verkaufte sogar ihren Motorroller dafür. Als er "drüben" war, mussten sie für die Restsumme irgendwie einen Bankkredit aufnehmen, was auch gelang. Jetzt ist er seit über einem Jahr in den USA - im Niemandsland von Iowa. Im Tiefschnee. Lebt von Gelegenheitsjobs am Bau oder in einer Hühnerfabrik. Und arbeitet gerade an seiner Aufenthaltsgenehmigung. Einmal musste er, nachdem er sich beim Job verletzt hatte, ins Spital - die Summe dort ohne Krankenversicherung schlägt eine weitere Wunde ins Budget. Und trotzdem nehmen es so viele in Kauf. Gänsehaut muss ich sagen, wenn man solche Geschichten dann mal von Menschen hört, die man kennt statt irgendwelche traurigen Gesichter im Fernsehen zu sehen.
Ihr könnt euch also vorstellen, wie spannend die Vormittage sind und dass die Zeit jeweils wie im Flug vergeht. Zu Mittag habe ich dann meist Hunger, also gehe ich auf ein Small Lunch in ein Café. Noch immer habe ich nicht alle durch, auch wenn sich meine Favoriten langsam herauszukristallisieren beginnen.
Nachher streife ich ein wenig durch die Stadt, sah mir zum Beispiel gestern noch ein paar Kirchen und Plätze an - das meiste habe ich aber durch. Oder ich nutzte die Hitze des Nachmittags, im schattigen Innenhof zu sitzen und so wie jetzt gerade meine Berichte zu schreiben. Herrlich ist das Wetter jetzt in der Trockenzeit - fast immer strahlend blau, 33 Grad, leichter Wind. Sehr Step-mäßig :-)
Gegen 4 verlasse ich dann meist das Haus, setze mich dann irgendwohin auf ein Aperitif-Bier, sehe dem freundlichen Treiben auf Leons Straßen zu. Wie schon erwähnt, kann ich hier ganz ungehindert spaziergehen - keiner redet mich an, um mir etwas zu verkaufen, manchmal werde ich freundlich gegrüßt, und wenn jemand das Gespräch sucht, so ist das komplett ohne Hintergedanken sondern aus ehrlichem Interesse. Echt selten so nette Menschen wie hier getroffen!
Dann suche ich mir ein Lokal zum Abendessen. Die Lokale sind natürlich eher für die reicheren LeonerInnen, auch ein paar solche gibt es. Und für die BackpackerInnen. Wenn es teuer wird, kommt Haupt-und Nachspeise mit Getränk auf 15 EUR, das ist dann hier schon extrem viel. Meist schmeckt es gut, ohne besonders kreativ zu sein - Sandwiches, Burger, Salate, manchmal Fleisch mit Reis und Gemüse und Kochbananen oder auch Pizza-Pasta, dazu Fruchtsäfte, Cocktails oder Bier. Cafés mit Kuchen gibt es auch für mich. Also Alles vorhanden, was man so braucht.
Wenn die Jungen dann in die Bars ziehen, mache ich mich meist auf den Heimweg und lasse den Abend gemütlich im Hof ausklingen. Lausche der Musik auf der Straße und schlafe zwischen 10 und 11 ein.
Soweit also meine - sehr angenehme - Routine. Die jetzt am Wochenende etwas unterbrochen wird. Morgen geht es auf den Vulkan Cerro Negro - und von dort dann mit dem Sandboard rasant zu Tale. Etwas Action also! Und am Sonntag werde ich mich an den nahen Pazifikstrand von Las Penitas begeben, der ungefähr eine halbe Stunde mit dem Taxi entfernt liegt, und mich dort entspannen. Also, ein paar mehr Fotos und Geschichten abseits meines Leoneser "Alltags" könnt ihr in den kommenden Tagen wieder erwarten! Buen fin de semana!