Ciudad de México, Mexiko, 22.20 Uhr
Dunkel, 12 Grad
Was macht eine Stadt eigentlich zur Weltstadt? Ist es die schiere Größe – oder müssen dafür noch andere Kriterien erfüllt sein? Eine Stadt kann groß sein aber trotzdem keine Bedeutung haben, weil sie keine Klasse hat. Zur Weltstadt wird sie in meinen Augen, wenn das Kulturangebot ebenso überwältigend ist wie die Freizeitoptionen, wenn sie kosmopolitisch ist und durch eine vielfältige Restaurantszene besticht, wenn es spannende und herausragende Architektur gibt und wenn die Infrastruktur gut ist und die Lebensqualität passt.
Ist Mexico City also eine Weltstadt? Eindeutig ja! Das Kulturangebot ist fast unüberschaubar, angeblich gibt es in keiner Stadt der Welt mehr Museen als hier. Die Freizeitoptionen sind unerschöpflich, die Auswahl an Restaurants ist endlos und vielfältig, es gibt unzählige Parks und Grünflächen ebenso als Möglichkeit seine Freizeit zu verbringen wie Bars oder Sportveranstaltungen (davon dass an dem Wochenende auch Formel 1 GP von Mexiko war habe ich übrigens genausoviel mitbekommen wie ich sonst auch von Formel 1 mitbekomme - nämlich gar nichts!), es gibt unterschiedlichste Stadtviertel, von modernen Hochhausvierteln über alte koloniale Stadtteile bis hin zu Bobo Arealen wie La Condesa. Alle Epochen haben zudem wirklich interessante und schöne architektonische Spuren hinterlassen – auch bei moderner Architektur zeigt Mexiko City immer wieder auf. Die Infrastruktur ist für einen Moloch, der sich in einem sogenannten Dritte Welt Land befindet, auf gutem Niveau, von einem großen U-Bahnnetz angefangen bis hin zu breiten Radwegen und engmaschigem Radverleihsystem ist alles vorhanden – und ziemlich sauber ist es auch, wie ich gestern schon erwähnt hatte. Mexico City ist in meinen Augen eindeutig eine Weltstadt, wenn auch eine unterschätzte. Sprich, die damit für gewöhnlich verbundenen Touristenmassen findet man hier noch nicht, es ist eine authentisch mexikanische Stadt, was sie zusätzlich attraktiv macht.
Die Facetten einer Weltstadt sind vielseitig und wechselvoll. Wie ich es heute selbst im Zuge meines langen Tages erfahren habe.
Es begann unglaublich gemütlich, denn den Auftakt bildete ein üppiger Brunch in einem sehr netten Lokal gleich hier in der Nähe. Luis, Leo und Beata, sprich die ganze „Familie“, waren dabei für einen gelungenen Start in den Tag, den wir ausgiebig genossen. Speziell zu erwähnen, dass sich auch hervorragendes dunkles Brot im Körberl befand! Karin (Z.), vielleicht wären die nächsten 237 Brunche in La Condesa anzusetzen, denn das Reservoir an Optionen für einen boboesk-dekadenten Start in den Tag ist hier geradezu unerschöpflich ;-)
Danach gingen wir alle unsere eigenen Wege, ich beschritt jenen des Hop On Hop Off Busses, um mir speziell die im Süden gelegenen kolonialen Stadtteile anzusehen. Eigentlich bin ich sonst nicht so sehr der Freund dieses Konzepts, bei den Entfernungen in Mexico City macht die Variante aber durchaus Sinn. Leider gibt es hier keinen fixen Fahrplan, sondern die Busse kommen alle 30-60 Minuten. Sprich, man weiß nie genau, wann der nächste kommt und muss, wenn man seine Besichtigungsaktivitäten im jeweiligen Stadtteil abgeschlossen hat und weiter will, im Prinzip immer bei der Haltestelle warten und nicht auf einen Kaffee gehen, wenn man nicht den nächstmöglichen Bus auch wieder verpassen will. Bei meinen Stopps hatte ich heute kein Glück, einmal stand ich 45 Minuten, das andere Mal geschlagene eineinhalb Stunden bei der Haltestelle, nachdem der Bus in der Verkehrshölle stecken geblieben war. Schön war dafür die Fahrt durch die südlichen, fast dörflich anmutenden Gegenden wie Tllalpan – die einen interessanten Kontrast zu den mehrspurigen Straßen durch die Hochhausvierteln bilden.
Ich besichtigte zuerst San Angel, einen hübschen Stadtteil mit gepflasterten Gassen und kolonialen Gebäuden. Und später dann Coyoacán, ebenso kolonial, und bekannt in erster Linie als Heimat der berühmten Malerin Frida Kahlo. Von der Beschreibung her hatte dieses Viertel besonders idyllisch geklungen, allerdings gab es im Zuge der Feierlichkeiten zum Tag der Toten (die hier gleich eine ganze Woche andauern) Menschenmassen, die sich auf den hübschen Plätzen tummelten, und man konnte sich kaum weiter bewegen. In dem Moment war ich einfach nur gerädert, Verkehrsinfarkt und die andauernd vorhandene Unmenge an Leuten sind in Verbindung mit der Höhenlage schon ermüdend. Und so war ich, als der Bus ewig nicht kam, im Stimmungstief statt wie eigentlich geplant im Frida Kahlo Museum.
Das andere Gesicht der mexikanisch geprägten Weltstadt bekam ich dann aber auch wieder zu sehen. Die Route des Busses führte nämlich praktisch direkt an meiner Unterkunft vorbei, die Haltestelle wäre aber erst 2 Kilometer entfernt gewesen. Ich fragte einfach, ob ich nicht aussteigen könnte, und mit einem Lächeln wurde mir die Türe geöffnet und ein schöner Abend gewünscht. Diese Spontanität und Unkompliziertheit wirkte auf mich dann wieder so erfrischend, dass ich meine Müdigkeit vergaß und mit einem Lächeln auf den Lippen die Wohnungstüre aufschloss.
Die Gesichter der Weltstadt sind vielseitig – beeindruckend und anstrengend, erhellend und ermüdend zugleich, vollgestopft mit Autos und Menschen aber durch die Freundlichkeit und Entspanntheit der Bewohner trotzdem niemals wirklich hektisch und im Endeffekt immer getragen von lateinamerikanischer Leichtigkeit.
Nachdem niemand zu Hause war, ging ich noch kurz alleine Abendessen in der Nähe, um mich dann zurückzuziehen, zu erholen und diese Zeilen an euch zu verfassen, die mich nun bald in den Schlaf wiegen werden. Möge eure persönliche Version einer Weltstadt eure Träume begleiten!