Tamale, Ghana, 19 Uhr
Klarer Himmel, 27 Grad
Diesen Titel habe ich heute gewählt, nicht weil wir einer Heuschreckenplage zum Opfer gefallen wären sondern weil Teile von uns selbst zu einer geworden sind. Die schon einmal erwähnte Fotografierwut mancher Gruppenteilnehmer hat teilweise ein inzwischen unangenehmes Ausmaß erreicht.
Sowohl in Togo als auch nach der Grenze in Ghana – die meisten Menschen am Straßenrand winken uns fröhlich zu. Und dann steigen wir in dem ein oder anderen Dorf aus, und das erste, was die Einheimischen zur „Belohnung“ für ihre freundliche Begrüßung bekommen ist eine Kamera ins Gesicht. Bill hatte schon öfter erwähnt, dass die Einheimischen vor Bildern immer zu fragen sind, und auch im Reiseprogramm steht explizit „das Erste was die Menschen von Ihnen sehen sollten ist Ihr freundliches Lächeln und nicht Ihre Kamera“. Viele halten sich auch daran, aber bei einigen ist Hopfen und Malz verloren. Wie die Heuschrecken kommt mir vor, dass sie, gierig nach Bildern, über die Dörfer herfallen und die Bewohner mit den Kameras zwangsbeglücken. Ich muss mich teilweise echt genieren, weil ich finde, auf Gastfreundschaft mit völliger Respektlosigkeit zu antworten, ist peinlich und stellt uns weiße Besucher hier in ein echt unsympathisches Licht. Von dem ich kein Teil sein will, aber zwangsläufig zu einem gemacht werde.
Die Grenze von Togo nach Ghana war sehr entspannt, sie lag mitten im Nichts, nicht einmal ein Ort war in der Nähe. In einer kleinen Hütte saßen freundliche Grenzbeamte, die uns in Ghana willkommen hießen, es wurde dabei gescherzt und gelacht. Darauf, dass mich ein österreichischer Grenzbeamter mal willkommen heißt, werden ich und alle Besucher unseres Landes wohl bis ans Ende unserer Tage warten müssen. Vor der Türe liefen Hühner, Enten und Ziegen herum und Bäume spendeten Schatten, das Gesamtsetting war also höchst gemütlich. Trotz vielfacher Instruktion, an der Grenze nicht zu fotografieren, wurde auch hier aber wieder eifrig geknipst, denn Hühner und Bäume kann man ja sonst wirklich nirgends fotografisch festhalten. Manche sind wirklich unbelehrbar. Zum Glück hatte es niemand mitbekommen und so gab es auch keine Konsequenzen.
Bill ist ein lieber „Bua“, mit seinen 22 jung und intelligent, er bildet sich fort, spricht inklusive seiner Muttersprache Fon, Französisch, Englisch und Deutsch bereits 4 Sprachen, die er sich teilweise selbst beigebracht hat, und möchte demnächst mit Spanisch und Chinesisch beginnen. Allerdings merkt man ihm auch seine Unerfahrenheit regelmäßig an, oft hat er unsere Tour noch nicht gemacht, seine Zeit-und Entfernungsangaben sind eher nicht sehr aussagekräftig, und es fehlt ihm ein wenig das Durchsetzungsvermögen, die Herde im Zaum zu halten. Gestern fragte er mich in einem ruhigen Moment, wie ich mit seiner Tourleitung zufrieden wäre, ich sagte ihm, dass er sich wirklich sehr bemüht, dass wir uns aber öfter ein wenig einen roten Faden wünschen würden, wann wir denn nun etwas einkaufen könnten oder ob wir jetzt gleich abfahren würden, das ist nicht immer klar. Auch sprach ich ihn darauf an, welchen Eindruck er von der Fotografierwut mancher Gruppenteilnehmer hätte, er empfindet das genauso wie ich, und ich sagte, dass ich es schade finde, dass wir als Gäste damit in unserer Gesamtheit so wirken, als würden wir die Würde der Einheimischen nicht ausreichend respektieren. Nachdem er mir diesbezüglich beipflichtete, meinte ich, dass er in seiner Funktion durchaus auch mal energischer auf die Vorgangsweise beim Fotografieren hinweisen könnte. Jedenfalls hatte ich den Eindruck, er wäre mir für mein konstruktives Feedback dankbar.
Abgesehen vom Grenzübertritt besuchten wir noch in Togo ein Dorf der Bassar, die für ihre Feuertänze berühmt sind. Mit bloßen Füßen stellen sie sich dabei in die Glut oder setzen sich sogar in diese, um zu zeigen, dass man das Feuer unter Kontrolle hat. Prominent wurde ein schön gekleideter recht alter Mann platziert, ich fragte Bill, ob es sich bei diesem auch um einen Würdenträger handeln würde. Bill verneinte, er sagte, er würde nur deswegen so nach vorne gesetzt, damit er einen besonderen Platz hat und sich wohlfühlt. Alte Menschen sind in Afrika, da so selten, etwas ganz besonderes, sie gelten als weise und werden mit höchster Würde behandelt. Das sieht man auch daran, wie sich vor allem die Fahrer unserer beiden Vans um unsere älteste Gruppenteilnehmerin immer kümmern, die 88 Jahre alt ist und mit ihrer Tochter in der Gruppe unterwegs. Andauernd fragen sie nach, ob „Maman“ bequem sitzt, ob sie auf die Toilette müsste, ihr wird beim Ein-und Aussteigen geholfen und sie wird regelrecht hofiert. Dieses Verhalten finde ich absolut entzückend. Ich kann mich erinnern, dass auch mein Schwager immer in höchsten Tönen von seiner Großmutter sprach, die für afrikanische Verhältnisse extrem alt geworden ist. Für Afrikaner muss es total seltsam sein, nach Europa zu kommen, wo erstens für hiesige Verhältnisse schon mal von Haus aus fast gar keine Menschen auf der Straße sind und zweitens diese dann nicht zum Großteil Kinder sind sondern extrem viele alte Leute. Bill bestätigte mir dieses seltsame Empfinden lächelnd von seinem einzigen Europabesuch in Deutschland.
Nun sind wir in Ghana. Außer dass die Aufschriften statt Französisch nun Englisch sind änderte sich zunächst mal nicht viel. Die Straße nach der Grenze war immer noch schlecht, die Dörfer immer noch voller Rundhütten und eher arm in der staubigen Dornsavanne, und Englisch verstanden die meisten Einheimischen auch nicht sondern nur die Sprache ihrer Volksgruppe. Als wir uns aber Tamale, der ersten größeren Stadt, wo wir nun übernachten, näherten, änderte sich das. Trotz weiterhin afrikanischem Gewusel auf der Straße sah man plötzlich jede Menge moderner Häuser, wie ich sie weder in Togo noch in Benin gesehen hatte, man sah westliche Fast Food Ketten, modernere Tankstellen – und auch das Hotel, in dem wir jetzt sind, ist das erste, das weder abgewohnt noch schäbig aussieht sondern einfach normal gepflegt und instand gehalten. Man sagt ja immer, Ghana sei das entwickeltste Land der Region, und wenn man den direkten Vergleich heranzieht, so ist das durchaus sichtbar. Ich bin schon gespannt, wie sich das Land auf unserer weiteren Strecke präsentieren wird. Nachdem ich mir meinen Ärger nun von der Seele geschrieben habe, geht’s mir wieder besser und ich hoffe, dass wir die Heuschreckenplage wieder in den Griff kriegen!