Nachdem ich morgen recht viel vor habe - am Vormittag mache ich noch die Free Walking Tour durch León, weil die angeblich so gut sein soll, und am Nachmittag und Abend findet die angekündigte Vulkantour statt - werde ich wahrscheinlich erst Sonntag Abend nach meiner Hängemattenpartie wieder zum Updaten kommen. Und so lange kann ich euch dann doch nicht warten lassen ;-)
Wie angekündigt, so haben wir den Unterricht zum Teil jetzt etwas mehr in die Praxis verlegt. Sprich, haben wir uns gestern und heute auf die Straße begeben. Gestern zu Plätzen, die ich an und für sich schon kannte, heute ins Museum der Legenden und Traditionen. Das ist ein ehemaliges Gefängnis der Somoza-Diktatur, wo heute diverse Mythen über die Stadt ausgestellt sind, es gibt Mosaike und man kann entlang der ehemaligen Gefängnismauer, die heute dicht von Mango-und anderen Bäumen umwuchert ist, spazieren. Es war sehr nett, so machten wir zwar weniger Grammatik als im Hof aber dafür noch mehr Konversation. Und am Ende landeten wir immer in einem der Cafés - etwas, das sich Katerin in ihrem Alltag nicht leisten kann, das ist besonderen Anlässen vorbehalten. Ihre Tochter ist so alt wie meine Nichte - und lustigerweise - auch wenn zum Beispiel auf ein Eis zu gehen in ihrem Fall wirklich etwas ganz Besonderes ist und man annehmen würde, dass sie das mehr schätzt, weil sie ein Eis eben nicht dauernd bekommt, so klagt Katerin im Endeffekt über die gleichen Dinge wie meine Schwester - dass die Kleine nie zufrieden wäre, dass sie es für gegeben hält, ein Eis zu bekommen und auch sonst immer nach mehr verlangt. Finde ich schon überraschend, denn ich dachte, wenn für Kinder nicht immer Alles andauernd verfügbar ist, dass sie dann umso demütiger sind und sich noch mehr freuen, wenn es mal was Besonderes gibt. Scheint aber offenbar mehr eine Charakterfrage zu sein.....denn als wir zum Beispiel in der Saftbar standen, wo es alle möglichen Kombinationen an frischen Fruchtsäften gibt, kam ein kleines Mädchen, vielleicht 10, das gerade Zuckerln verkaufte und fragte, ob sie auch einen Saft von mir bekommt.....das machte ich natürlich gerne, ließ sie auch einen aussuchen, und sie strahlte übers ganze Gesicht, als sie an ihrem Strohhalm nuckelte. Das war ein schöner Moment - für sie und auch für mich. Ich wünsche natürlich niemandem, der mit nahe steht, jemals, Mangel erfahren zu müssen, schon gar nicht meiner Nichte - aber gerade mal von ihr etwas mehr Dankbarkeit und Demut zu erleben und dass sie sich über ein Geschenk richtig freut, das würde mich schon happy machen. Es ist wohl wirklich an der Zeit, dass sie mal ihre Cousins und Cousinen in Afrika besucht, um mal ihr Aha-Erlebnis zu haben.....das strahlende Mädchen heute ließ mich jedenfalls daran denken.
Wie gesagt, León ist eine Stadt der Imperfektion. Kanaldeckel fehlen sehr häufig (und zwar, weil manche sie stehlen, um das Metall zu verkaufen, wie Katerin mir erklärte), ebenso bröckeln die Hausmauern und die Pflastersteine in den Gehsteigen. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind alt, laut und verkehren irgendwann - die klassischen "Collectivos", die die Straßen abfahren und die Leute auf dem Heimweg aufsammeln. Die Verkabelung ist abenteuerlich, Stromkabeln verlaufen kreuz und quer und hängen herunter. Jedes zweite Auto ist verrostet und/oder verbeult. Unter Tag ist es wuselig mit Markt-und Essständen, während, sobald die Sonne gegen 18 Uhr untergeht, die Straßen danach fast menschenleer sind. Ungewöhnlich, bei dem warmen Klima, dass sich die Menschen nicht draußen aufhalten. Aber man kommt in die Stadt, um zu arbeiten und einzukaufen, danach fährt man nach Hause zum Abendessen. Man steht früh auf und geht früh schlafen, vermutlich auch, um Strom zu sparen. Essen gehen ist nur für eine Minderheit ein Thema, und da auch nur zu besonderen Anlässen. So ist es nie eine Schwierigkeit, in einem der vielen Lokale einen Platz zu bekommen - sie sind für gewöhnlich maximal zur Hälfte gefüllt. Ein wenig schade ist das schon - gerade wenn es so schön warm ist, würde ich mich gern noch im Freien durch die Straßen treiben lassen nach dem Abendessen, wie das zum Beispiel in Südeuropa so häufig üblich ist. Aber nachdem dann nichts mehr los ist, ist das folglich auch weniger einladend - man kann sich höchstens in eine Bar setzen. Ich fühle mich in León nirgends unsicher, mir wurde auch mehrfach versichert, dass man kann auch nach Einbruch der Dunkelheit im Zentrum problemlos nach Hause spazieren kann. Das tue ich auch die paar Häuserblöcke vom jeweiligen Lokal, aber richtig anregend, gemütlich durch die ausgestorbenen Straßen zu flanieren, ist es definitiv nicht.
Das ist nur eine Kleinigkeit, ich mag León trotzdem extrem gern. Was mir vor Allem gefällt ist, dass alles Wesentliche funktioniert und das Leben seinen so normalen und unaufgeregten Lauf geht. Die Menschen haben einen bescheidenen Lebensstandard, aber sie haben einen. Müll wird abgeholt und sogar getrennt. Draußen am Land ist das nicht der Fall, da wird er leider einfach verbrannt. Geht eben nicht anders. Immerhin wird er das und nicht so, wie in vielen Teilen Asiens, einfach an den Straßenrand gekippt. Mit dem Finger zeigen müssen wir trotzdem nicht - denn auch mit der Verbrennung von Plastik ist der ökologische Fußabdruck eines Landes wie Nicaragua um Welten kleiner als der unsrige, wo alles klinisch sauber ist aber unser Verbrauch an täglichen Ressourcen dafür um Vieles höher. Man lernt hier schon, seine Ansprüche neu zu sortieren - auch 2 Stufen unter unserem Lebensstandard fehlt es eigentlich an nichts Wesentlichem, solange die Grundbedürfnisse gedeckt sind. Das macht das Land so sympathisch, dass das der Fall zu sein scheint. Die Leute können nicht reisen (wegen Geld und auch weil sie so gut wie nirgends ohne Visum einreisen können, das sie aber kaum ohne besonders komplizierte Einladungen und Bürgschaften bekommen - nicht einmal in die reicheren Nachbarländer Costa Rica und Panama) und sich keinen Luxus leisten, aber die Art, wie die Leute nicht nur mich als Gast behandeln sondern auch miteinander umgehen, rücksichtsvoll und herzlich, ist einmalig.
Kurz muss ich auch das Thema Corona mal wieder anreißen - am Anfang gab es hier nur Sputnik als Impfstoff, dem aber nicht nur die RussInnen selbst, sondern auch die Nicas misstrauten. Mit dem kubanischen Impfstoff Soberana 2 lief dann die große Impfkampagne an, heute sind natürlich auch Biontech-Pfizer und Moderna in großer Menge verfügbar. Ein Großteil der Bevölkerung ist geimpft - und trotzdem ist man noch nicht aus dem Pandemiemodus draußen. Maskenpflicht gibt es zum Glück nirgends mehr, wo es mich betrifft (außer beim Ankommen am Flughafen), aber dafür immer noch für alle SchülerInnen und LehrerInnen den gesamten Schultag lang oder für Servicepersonal in Restaurants. Auch wo es keine Pflicht gibt, läuft mindestens die Hälfte der Menschen immer noch maskiert durch die Gegend - und das sogar im Freien bei 34 Grad!! Ich hatte meinen Guide gefragt, warum das so ist - und er sagte, die Leute hätten immer noch Angst, weil "jeder wen kennen würde, der an Corona gestorben ist". Natürlich blieb ich ernst, als er das sagte, aber innerlich musste ich schon sehr lachen, als ich diesen Satz, den unser allwissender messianischer Ex-Bundes-Basti als prophetische Weisheit zu Pandemiebeginn auch für Österreich locker-flockig rausgeträllert hatte, hörte. Naja, bei uns waren wir ja zum Glück weit entfernt von dieser Prognose, vielleicht hätte er sie im nicaraguanischen Fernsehen zum Besten geben sollen. Seltsam jedenfalls, dass das hier noch so präsent ist.
Einer besonders aufmerksamen Leserin, die ich hier neulich auch schon als meine "Pflanzenfee" betitelt habe, weil sie sich in meiner Abwesenheit netterweise um meine Pflanzen kümmert, war aufgefallen, dass ich nicht viel über meine Gastfamilie schreibe. Dazu muss man sagen - es ist auch bei meinem zweiten Versuch keine so echte Gastfamilie. War es damals in Argentinien eine alleinstehende ältere Dame, die sich - für meinen Geschmack etwas zu ausführlich - um mein Wohlergehen gekümmert hatte, so ist es diesmal eher mehr wie ein B&B. Das alte Kolonialhaus gruppiert sich um einen Innenhof, wie ich am Anfang ja schon beschrieben hatte. Ein wenig ist das angelegt wie bei Verena im Burgenland - jeder hat seinen Wohnbereich. Die Familie ganz hinten, mein Zimmer liegt ganz vorne. Dazwischen liegt noch ein Zimmer, das auch vermietet wird - meist kommen dort dann Gäste für 1-2 Nächte, im überwiegenden Fall junge BackpackerInnen. Jetzt ist aber gerade eine kanadische Oma mit ihrem 10 jährigen Enkel da - sie ist auch noch Backpackerin, der Enkel findet seine Oma megacool, dass sie ihn auf ihre Trips mitnimmt, so eine Art "Poupette", für alle, die "La Boum" noch kennen. Jedenfalls krieg ich mein Frühstück serviert - an meinem eigenen Tisch. Ich plaudere immer wieder ein wenig mit Lidia und Martha, die beide - so wie praktisch alle Nicas - extrem nett sind, aber wirklich ins Familienleben bin ich nicht integriert, das bleibt doch im eigenen Bereich. Ist auch okay und stört mich nicht weiter, trotzdem hätte ich mir unter "Gastfamilie" auch diesmal ein wenig etwas anderes vorgestellt.
So, nun ist der Artikel wieder ziemlich lang geworden - auch wenn sich nicht viel Neues ereignet hat, ist es trotzdem schön, seine Eindrücke und Gedanken niederzuschreiben. Ich werde mich denke ich Sonntag Abend - mit dann wohl auch wieder mehr Fotos - das nächste Mal zu Wort melden! Dafür gibt's diesmal Katerin im Bild .-)