Mittlerweile stellt niemand mehr die Gefahren, die vom Corona Virus ausgehen, in Abrede. Ich habe das in meinem ersten Artikel zum Thema vor ein paar Tagen noch ziemlich deutlich getan. Das mag etwas zu radikal gewesen sein, im Kern ist die Botschaft, dass wir eine Infektionsrate von 60-70% brauchen, um die sogenannte „Herdenimmunität“ zu erreichen, also jenen Punkt, an dem eine Mehrzahl an Immunisierten einer Minderheit an noch nicht Infizierten gegenübersteht, aber weiterhin gültig. 2 Drittel werden sich also definitiv anstecken müssen, um die Krankheit dauerhaft in den Griff zu kriegen. Die meisten Staaten, wie auch Österreich, haben nun drastische Maßnahmen ergriffen, um diese Phase in die Länge zu strecken und so die Gesundheitssysteme nicht zu überlasten. Das bedeutet aber natürlich auch, dass der Punkt, an dem die Herdenimmunität eintritt, nicht in ein paar Wochen sondern erst in Monaten wenn nicht erst im Herbst erreicht sein wird. Lockert man vorher die Maßnahmen, sprich, gibt es noch nicht genug immunisierte Personen, wird die Infektionskurve sofort nach Lockerung wieder steil ansteigen, das ist augenscheinlich. Also – Monate in Gefangenschaft werden es wohl realistischer Weise werden.
Einen gänzlich anderen Weg geht wie immer Großbritannien. Diese Insel geht mir mit ihrem Zwang, immer alles anders machen zu müssen als der Rest der Welt, meistens ziemlich auf die Nerven. In dem Fall finde ich den Ansatz spannend. Hier versucht man, nur die gefährdete Personengruppe unter Quarantäne zu stellen, also ältere und geschwächte Personen, ansonsten aber das Leben relativ normal weiterlaufen zu lassen. Da für jüngere Menschen das Virus offensichtlich nicht gefährlich ist, sagt man, sollen sich diese ruhig schneller untereinander anstecken, sie werden wegen milder Symptome das Gesundheitssystem trotzdem nicht in Schwierigkeiten bringen, und die kritische Masse an nötigen Infektionen ist so viel schneller erreicht, um an den Wendepunkt zu gelangen und viel früher wieder zur Normalität zurückkehren zu können. Diese Einschätzung wird von Experten als sehr riskant eingestuft, die Idee, es auf diesem Weg zu versuchen, finde ich trotzdem nicht ganz unschlüssig. Denjenigen, die sagen, dass es unfair wäre, nur ältere Menschen zu isolieren, kann man entgegenhalten, dass diese auch bei unserem Vorgehen genauso komplett isoliert werden, aber eben auch alle anderen. Und das auch wesentlich länger. Wir werden es erst, wenn das Alles vorbei ist, richtig beurteilen können, ob das wirklich Alles notwendig war und welcher Weg der bessere war. Es ist bei uns oder eben auch in Großbritannien wesentlich einfacher, ältere Menschen nicht zu treffen, weil diese meist alleine oder in Betreuung leben, während in den Südländern wie Italien oder Spanien, wo Corona ganz besonders aggressiv wütet, sehr oft mehrere Generationen unter einem Dach wohnen und die jüngeren Menschen dadurch die Risikogruppen anstecken, da räumliche Distanz oft gar nicht möglich ist. Das erklärt auch die viel höheren Todesraten in Italien im Verhältnis zur Anzahl der Infizierten als es etwa bei uns der Fall ist.
So, nach dieser Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erklärungsversuchen nun zu meinem persönlichen Befinden. Wie schon angedeutet, eingesperrt werden ist etwas, mit dem ich überhaupt nicht umgehen kann. Immer noch spüre ich regelmäßig einen Knoten im Hals und schwere Beklemmungszustände angesichts der Tatsache, dass ich nicht mehr frei über mein Leben entscheiden kann. Als Freiheitsjunkie plötzlich in einem restriktiven, eigentlich autoritären, System zu leben, das mir alle meine Verhaltensweisen vorschreibt, macht mich hilflos, wütend, aggressiv, traurig. Es sind zu viele extrem ausgeprägte Emotionen, von denen ich zur Zeit gleichzeitig erfasst werde, als dass ich sie richtig verarbeiten könnte.
Dass die AUA morgen den Flugbetrieb vorübergehend einstellt, war zu erwarten und notwendig. Ich bin in den letzten Tagen noch recht viel geflogen, meist waren die Flieger halb leer, es herrschte so eine Art Endzeitstimmung. Die Passagiere waren ganz anders als sonst immer, die meisten extrem nett, viele bedankten sich, dass wir noch arbeiten, vielen stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben, dass sie noch nach Hause kommen, bevor es gar keine Flüge mehr gibt und alle Grenzen geschlossen sind. In der Kantine herrschte Geisterstimmung, und unter den Kollegen eine Mischung aus versuchter gegenseitiger Aufmunterung und Resignation. Meine Kollegin gestern musste zu heulen beginnen, als uns ein Ehepaar aus Kanada von seiner Odyssee aus Tirol heraus erzählte und dass sie hofften, noch nach Kanada zu kommen, und ich muss sagen, dass auch mir ein paar Tränen in die Augen schossen bei dem, was sich da an individuellen Geschichten gerade abspielt. Ganz eigen – und irgendwie grauslich, ich bin für den Moment sogar froh, so nicht mehr arbeiten zu müssen. Wie es hier weitergeht, wird gerade in diversen Kurzarbeitsmodellen zwischen Gewerkschaften und Firma ausgefeilt, die neue Corona Kurzarbeit mit vorübergehend gar keiner Arbeitsleistung wird uns schon irgendwie drüber retten – da bin ich gerade etwas zuversichtlicher als vor ein paar Tagen noch. Ich denke, die AUA ist für Österreich als Standort zu wichtig für die internationale Anbindung, als dass die Regierung hier nicht alles versuchen wird, sie durchzubringen. Die aktuelle Gesetzgebung der neuen Kurzarbeitsmodelle spielt auch genau in diese Richtung. Ein seltenes Lob, dass hier offensichtlich schnell und relativ unbürokratisch reagiert wird – und selbst diesen aalglatten Schnösel Blümel im Kreisky Jargon sagen zu hören, dass das Fetisch Nulldefizit plötzlich nicht mehr ganz so wichtig ist wenn es um die Arbeitsplätze geht, gibt eine gewisse Genugtuung. Schade, dass es für so eine einfache Erkenntnis solcher extremen Ereignisse bedarf. Die Zeit wird zeigen, wie das alles dann in der Praxis funktionieren wird.
Dass ich so ganz anders ticke, als die meisten anderen Menschen, wird mir indes in diesen Tagen wieder ganz besonders stark bewusst.
Da ist diese Verbundenheit zur Heimat, die die meisten haben, egal woher sie kommen. Ich habe das gar nicht. Viele wollen, wie ich oben erwähnt habe, „noch nach Hause kommen“. Ich frage mich immer, warum eigentlich. Es gibt zugegebener Maßen immer weniger Länder, in denen dieser Tage noch ein normales Leben möglich ist, aber wenn es ein solches noch gäbe, würde ich genau dorthin wollen. Warum sollte ich zurück nach Österreich wollen, wenn ich gerade an einem Ort wäre, wo ich mich noch frei bewegen kann? Wegen Familie und Freunden – argumentieren viele. Familie habe ich hier keine, und Freunde – die darf ich sowieso nicht sehen. Sie sind zwar theoretisch nahe aber praktisch genauso weit entfernt, als wenn ich auf einer Südseeinsel unter einer Palme sitzen würde. So gesehen wäre ich viel lieber an einem Ort, an dem ich selbst darüber entscheiden könnte, was ich tue, als mich hier in meiner Wohnung einzusperren.
Auch ist mein Lebensstil so ein ganz anderer als der der meisten meiner Artgenossen. Ich bin aus Überzeugung und sehr gerne alleine, tue das was ich will und worauf ich Lust habe, diese Nichteinschränkung und Freiheit ist, gepaart mit meiner Neugierde auf Fremdes und Neues, das, was mich glücklich und zufrieden macht. Für eine Situation wie diese, an der ich mich zwangsweise an einem Ort aufhalten muss (auch wenn meine Wohnung zugegebenermaßen im Vergleich zu einem Flüchtlingscamp auf Lesbos ein paradiesisches Gefängnis ist), ist mein Lebensstil aber nicht ausgelegt. Ich lese nicht gerne Bücher – für mich ist die Welt das Buch, in dem ich lese, das aber im Moment verschlossen ist. Ich habe kein Netflix Abo, weil mich das echte Leben normalerweise viel mehr interessiert als in ein Kastl zu schauen und ich sowieso selten zu Hause bin. In Tagen wie diesen wäre es sehr praktisch, würde ich gerne lesen oder Netflix schauen, denn meine Wohnung ist dann bald mal geputzt, zum Ausmisten habe ich auch nichts, nachdem ich so ordentlich bin, und Pornhub, insbesondere Corona Clips, ist auch langweilig ;-)
Was mich auch so schockiert ist, zu sehen, wie fragil die freie Welt eigentlich ist. Ich bin es, als privilegierter Inhaber eines EU Passes, gewohnt, dass mir fast die ganze Welt mehr oder weniger sehr einfach offen steht und ich da und dorthin reisen kann ohne groß zu überlegen oder irgendwelchen Einschränkungen zu unterliegen. Schaltet die Welt in Krisenmodus, sind aber auf einmal alle Grenzen zu, man kann, egal mit welchem Pass, praktisch nirgends mehr einreisen. Ich sehe da dann plötzlich die Erde aus den Augen eines Flüchtlings, egal wo ich hinwollen würde, ich kann es nicht oder nur auf riskantem und illegalem Weg. Ein beklemmendes Signal. Wäre plötzlich Krieg und ich weg müssen, würde ich überall genauso vor verschlossenen Türen stehen, wie es Migranten aus armen Ländern jetzt tagtäglich erleben. Hypothetisch gesagt - läge die EU in Trümmern, weil zum Beispiel aus dieser Corona Krise Heerscharen an Arbeitslosen zurückbleiben und sich dann entsprechend Gewalt und Krieg über den Kontinent ausbreiten, wäre der EU Pass plötzlich genauso viel oder wenig wert wie heute einer aus Afghanistan – bringen wir kein Geld als Touristen sondern kosten plötzlich welches, weil wir aus einer mittellosen Krisenregion stammen, wären auch wir nirgends mehr willkommen und Länder uns die Einreise verweigern. Möge diese Hypothese nie eintreten, aber für mich als einer, der sich normalerweise ganz selbstverständlich frei über unseren Erdball bewegt, ist es schockierend zu sehen, wie schnell es plötzlich vorbei sein kann mit der Reisefreiheit.
Hier nun also ein paar Einblicke darin, was mir so durch den Kopf geistert, wenn ich den ganzen Tag zu Hause sitze. Und es ist erst Tag 2 von vermutlich unzähligen mehr. Ich hoffe, ich werde am Ende nicht zum Alkoholiker. Ich trinke für gewöhnlich nie alleine daheim Alkohol, momentan halte ich es aber ohne nicht aus, etwas Bier und Wein beruhigen die Nerven, wenn ich wieder einen Klaustrophobie Schub durchlebe. Wie gesagt, ich werde mich in unregelmäßigen Abständen hier zu Wort melden, wenn mir danach ist und mir gerade die Decke auf den Kopf fällt. Nun werde ich aber meinen erlaubten Tätigkeiten nachgehen, also einkaufen, vielleicht ein paar neue Gerichte ausprobieren, die ich kochen könnte, und vielleicht auch noch einen kurzen Spaziergang anschließen. Klopapier muss ich zum Glück nicht hamstern, denn im Notfall kann ich auf den umfangreichen Serviettenvorrat zurückgreifen, den mir meine liebe Mutter hinterlassen hat. Sie hatte also für schlechte Zeiten vorgesorgt – sehr vorausschauend ;-) Das Schreiben hat gut getan, denn wie ihr seht, schließe ich diese Zeilen wieder mit humorigem Lächeln. Möge mehr davon folgen!