Danach hieß es erst einmal Fahren. Auch wenn Litauen nicht riesig ist, so ist es doch nur unwesentlich kleiner als Österreich, und wer schon einmal von Wien nach Vorarlberg unterwegs war, weiß, dass man auch in kleinen Ländern durchaus lange Strecken zurücklegen kann. Ganz so weit war es heute nicht, aber rund zweieinhalb Stunden dauerte es trotzdem, bis ich am Ostseehafen von Klaipeda ankam. Die Fahrt verlief dabei durchgehend auf der Autobahn und war nicht sehr spannend. Ihr kennt ja mein "Faible" für flache Landschaften, und wer weiß, dass die höchste Erhebung Litauens nicht einmal 300 Meter hoch ist, dem ist schon klar - hier tut sich nicht viel, was Abwechslung betrifft. Wiese, Wald, Wiese und wieder Wald. Es war im Endeffekt ein Abspulen der Kilometer. Wegen spannender Landschaften war ich aber ohnehin nicht nach Litauen gekommen. Beziehungsweise wegen einer bestimmten dann doch - nämlich der Kurischen Nehrung.
Die Kurische Nehrung ist eigentlich eine Halbinsel, die der Ostseeküste vorgelagert ist und sich etwa knappe 100 Kilometer entlang dieser erstreckt. Sie ist schmal, die breiteste Stelle zwischen der offenen Ostsee im Westen und dem Kurischen Haff im Osten ist keine 3 Kilometer. Bewachsen wird sie von endlosen Föhrenwäldern, und die Landschaft ist von Dünen geprägt. Die Panidis Düne hier bei Nida, dem Hauptort der Halbinsel, ist nach der Dune de Pilat in Frankreich die zweitgrößte Wanderdüne Europas. Früher war sie ungezähmt und begrub immer wieder menschliche Ansiedlungen unter sich. Heute wurde sie aufgeforstet und mit Pflanzungen stabilisiert, sodass Nida und andere Orte nicht mehr der Gefahr ausgesetzt sind, erneut vom Sand verschluckt zu werden. In der Sowjetzeit war die Halbinsel Sperrgebiet für Parteibonzen, was immerhin einen Vorteil hatte: die Verschandelung durch Schwerindustrie und kommunistische Plattenbauarchitektur blieb ihr erspart, die Natur konnte sich weitgehend frei entfalten ohne negative menschliche Einflüsse. Die Halbinsel steht nun als Nationalpark unter strengem Naturschutz, sie ist mit Wander-und Radwegen gut erschlossen, diese dürfen keinesfalls verlassen werden. Alles ist sauber, es liegt kein Müll herum bzw wird dieser vorbildlich getrennt, mit dem fragilen Ökosystem wird respektvoll umgegangen, und so ist die Kurische Nehrung heute auch von der UNESCO als Weltnaturerbe anerkannt. Einen Haken, der die Nehrung zumindest von litauischer Seite aus mehr zu einer Insel als zu einer Halbinsel macht, gibt es allerdings: während die nördlichen knapp 50 Kilometer Teil des litauischen Staatsgebietes sind, liegen die südlichen 45 in der russischen Exklave Kaliningrad. Nur von Süden aus gibt es eine Landverbindung - und diese ist aus den bekannten Gründen im Moment praktisch unzugänglich. Daher muss man von Norden kommend die Fähre aus Klaipeda nehmen, die einen in einer 5 minütigen Überfahrt auf die Halbinsel bringt. Nida, wo ich mich befinde, ist der letzte Ort auf litauischer Seite, ich bin also nur ein paar Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt, was sich in diesen Zeiten ziemlich merkwürdig anfühlt. So quasi wie am Ende der - freien - Welt.
Ich bezog bei meiner Ankunft knapp nach Mittag mein Gästehaus, ein sehr nettes Zimmer im Ortszentrum. Heute war es noch einmal richtig Sommer, und ich nutzte das, um mir möglichst viel noch an diesem sonnigen Nachmittag anzusehen. Die Orte der Kurischen Nehrung, so auch Nida, liegen eigentlich alle an der Ostküste, sprich am Kurischen Haff, während die Westseite, also die Ostseestrände, praktisch frei von Ansiedlungen sind. Strandbars und Restaurants finden sich aber auch dort - von Nida aus sind es 20 Minuten angenehmen Fußweges durch den Föhrenwald zum Strand.
Mit der Ostsee als Meer werde ich irgendwie nicht so richtig warm. Was nicht nur an deren kalten Temperaturen liegt (Wassertemperatur auch am Ende eines warmen Sommers nur bei 19 Grad). Sondern auch daran, dass sie mir zu ruhig ist. Man hört weder das Rauschen des Meeres, noch liegt dieser typisch salzige Meeresgeruch in der Luft, den ich so mag. Man ist zwar am Meer, aber irgendwie fehlt mir an der Ostsee trotzdem immer ein bisschen das eigentliche Meeresfeeling. Aber egal. Es ist trotzdem sehr schön hier.
Nida ist ein wunderschöner Ort mit vielen typischen sehr gepflegten Holzhäusern und sehr guten und angenehmen Lokalen. Die Föhrenwälder strahlen eine wunderbare Ruhe aus, und Schatten spenden sie an einem heißen Tag wie heute auch. Das Netz an Wanderwegen ist sehr gut beschildert und vorbildlich angelegt. Den hübschen Weg auf die Panidis Düne bin ich heute ebenso gegangen wie jenen hinauf zum Leuchtturm. Auf dem Weg zur Düne ist es besonders wichtig, diesen nicht zu verlassen, denn knapp dahinter beginnt das russische Staatsgebiet. Und auf eine Grenzverletzung will man sich in diesen Tagen wohl eher nicht einlassen - am Ende endet man noch als Geisel von Putins Folterknechten. Also achtsam sein und nicht weiter als bis zum Ende des Weges gehen!
Abgesehen vom Wandern gönnte ich mir ein kühles Bier in einem herrlichen Biergarten unter Trauerweiden, hatte ein geniales Abendessen und genoss noch die Stimmung der über den Ostsee untergehenden Sonne. Es ist wunderbar entschleunigend, auch Tag 2 dieses Urlaubs, ich spüre, wie ich Kraft tanke und mich langsam erhole. Das werde ich auch morgen tun, denn ich werde den gesamten Tag hier verbringen. Der Wetterwechsel steht an, die Vorschau ist aber nicht mehr so katastrophal wie noch gestern, als nur strömender Regen prophezeit wurde. Immerhin soll es nur noch wechselhaft sein auch mit trockenen und aufgelockerten Phasen. Wenn dieses Szenario eintritt, werde ich wohl die 9 Kilometer lange "Rund um Nida"-Wanderung unternehmen. Wie es gekommen ist, erfahrt ihr im nächsten Artikel!